Was sind schon 1,5 Meter?
Die Grösse einer kleinen erwachsenen Person. Vielleicht die Länge eines Tisches oder eine halbe Fahrbahn. So oder so: 1,5 Meter sind nicht viel. Und dennoch können diese im Strassenverkehr Leben retten, wenn wir nämlich als Autolenkende bei Kindern diesen Abstand einhalten.
Eine typische Verkehrssituation im morgendlichen Verkehr: Alle Autos sind nahe der erlaubten Höchstgeschwindigkeit unterwegs. Schliesslich warten im Büro viel Arbeit sowie eine Kaffeemaschine. Neben uns bewegen sich aber auch die Kinder Richtung Schule. Viele von ihnen am Strassenrand mit ihren Velos oder auch auf einem Velostreifen, wenn es denn einen hat.
Gerade für die Jüngsten kann die morgendliche Verkehrshektik ein Stress und eine Verunsicherung sein. Mit wenig Abstand, aber hoher Geschwindigkeit, fahren die Autos an ihnen vorbei. Und dennoch müssen sie sich dieser Situation stellen: Sie müssen lernen, sich im Strassenverkehr richtig und sicher zu verhalten. Genau wie Kinder auch sonst Lernende in zahlreichen Situationen des Lebens sind, sind sie es auch im Verkehr.
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Kinder lernen schnell, aber …
«Bei jedem Lernprozess geschehen Fehler», sagt Raphael Hermann, Polizist und Chef Verkehrserziehung bei der Freiburger Kantonspolizei. Kinder sind oft abgelenkt und vergesslich. Sie lernen unglaublich schnell, aber tun dies – wie jeder Mensch – oft durch eigene Fehler. Im Strassenverkehr kann das aber fatal enden.
Pro Jahr verunfallen 1’300 Kinder (bis 14 Jahren) auf Schweizer Strassen. Bei rund 520 von ihnen passiert es auf dem Schulweg. An einem durchschnittlichen Schultag gibt es also zwei oder drei Unfälle. Ein Unglück mit einem Kind ist nicht nur für dieses selbst und die Familie belastend, sondern auch für beteiligte Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer.
Laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung sind verkehrstechnisch gesehen bei 60 Prozent der Verkehrsunfälle mit Kindern zwar diese selbst die Hauptverursacher. Doch für Autolenkende fühlt sich ein solcher Ernstfall deswegen nicht besser an. Das heisst: Es gilt um aller Beteiligten Willen, diese Unfälle zu verhindern.
Verkehrspädagoginnen und -pädagogen nennen deshalb als Faustregel auch: Lasst den Kindern auf Velos bitte 1,5 Meter Platz, wenn ihr sie überholt. «Das reduziert die Gefahr für die Kinder», erklärt Polizist Hermann. Gerade für die jüngeren Schulkinder, die noch Mühe haben, ihr Gleichgewicht zu halten und auch mal unerwartet stark nach links ausschwenken, Richtung Fahrbahn der Autos.
«Der Mindestabstand von 1,5 Metern gilt nicht nur gegenüber Radfahrern, sondern auch gegenüber Kindern, die auf Tretrollern, Skateboards oder zu Fuss unterwegs sind.»
Diverse Verhaltensregeln und Gesetze
In vielen Nachbarsländern gibt es beim Überholen von (allen) Velos bereits einen gesetzlichen Mindestabstand. In Deutschland sind es beispielsweise die besagten 1,5 Meter oder sogar zwei Meter für Lastwagen, bei schlechter Sicht, Wind und Kindern.
In Frankreich gilt innerorts 1 Meter Abstand, ausserorts sind es 1,5. In der Schweiz schreibt das Gesetz lediglich einen «ausreichenden Abstand» vor. Hinsichtlich einer klaren Abstandsregelung ist die Schweiz also die (Verkehrs-)Insel Europas.
Kritiker würden sagen: Der Platz auf einer Strasse ist begrenzt, 1,5 Meter sind eine halbe Fahrbahn, wie soll ich da denn überhaupt überholen? Soll ich etwa die Mittellinie überfahren? Polizist Hermann erklärt: «Als Autofahrerin oder Autofahrer muss man sich in jeder Situation an die Verkehrsregeln halten. In dieser heisst es einfach: fahren im Schritttempo bzw. im Tempo des Velos.»
Die Lücke gegenüber dem Velofahrenden bedeutet zudem nicht 1,5 Meter gegenüber dem Trottoirrand. Die Breite des velofahrenden Kindes von wohl 60 bis 70 Zentimetern muss eingerechnet werden. Ungeachtet dessen, ob ein Velostreifen vorhanden ist oder nicht.
«Kinder können Geschwindigkeit und Distanzen noch nicht so gut einschätzen wie Erwachsene, daher ist es besonders wichtig, einen grosszügigen Sicherheitsabstand einzuhalten.»
Autolenkende in der Verantwortung
Gegenüber Kindern im Strassenverkehr stehen Autolenkende in der Verantwortung. Diese müssen sich entlang der sicherheits- und fahrpraxisbedingten Grenzen der Kinder verhalten, die sich vielleicht noch nicht sicher bewegen. Zumal Kinder der Schweiz ab dem Alter von sechs Jahren auf der Strasse Velo fahren dürfen. Ob sie das auch tun, obliegt der Verantwortung der Eltern. Sie sollten die Kinder deshalb so lange wie nötig begleiten und erst dann allein am Verkehr teilnehmen lassen, wenn es die Fähigkeiten des Kindes und die Strassenverhältnisse zulassen.
Zahlen zeigen, dass genau jene Monate, in denen die Schule beginnt, in punkto Velounfälle heikel sind. Auch weil der Schulanfang im warmen Spätsommer ist, wo man lieber mit dem Fahrrad unterwegs ist als im Winter. Der Juni ist der Monat mit den meisten Velounfällen in der Schweiz (761). Mit etwas Abstand folgen Juli, August und September auf ähnlichem Niveau (je zwischen 652 und 684).
«Eine vorausschauende Fahrweise und Rücksichtnahme auf schwächere Verkehrsteilnehmer tragen wesentlich zur Verkehrssicherheit bei.»
Wie also erfolgreich und korrekt Abstand halten? Sie erfahren es im Video:
Interview mit Dagmar Rösler, Primarlehrerin und Präsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz: «Die räumliche Wahrnehmung ist noch eingeschränkt».
«Es ist besonders wichtig, einen grosszügigen Sicherheitsabstand einzuhalten, um die Sicherheit der jüngsten Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten.»
Dagmar Rösler