Kinder im Verkehr: Warum Vorsicht und langsames Fahren Leben retten

Hinter jeder Zahl steht ein junges Leben. Jährlich verunglücken etwa 1’300 Kinder auf Schweizer Strassen. Welche Strategien können wir entwickeln, um die Zahl der Unfälle deutlich zu reduzieren?
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Wie oft passieren Kinderunfälle?

Aufgrund der polizeilichen Statistiken wird davon ausgegangen, dass pro Jahr 1’300 Kinder auf Schweizer Strassen verunfallen. Tatsächlich passieren deutlich mehr Unfälle, da viele nicht gemeldet werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Unfällen mit schwer verletzten Kindern. Gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) kamen auf die letzten fünf Jahre gerechnet auf Schweizer Strassen durchschnittlich jährlich sechs Kinder ums Leben, 168 wurden schwer verletzt. Kinder (zwischen 0 und 14 Jahren), die sich zum Zeitpunkt des Unfalls aktiv im Verkehr fortbewegten, waren in knapp zwei Fünfteln der Fälle zu Fuss, in rund einem Drittel der Fälle mit dem Velo und in knapp einem Fünftel der Fälle mit einem sogenannt «fahrzeugähnlichen Gerät» (z.B. Trottinett) unterwegs.

«Jährlich verunglücken etwa 1’300 Kinder auf Schweizer Strassen.»


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Wie bewegen sich Kinder im Verkehr?

In der Schweiz und generell in Westeuropa sind viele Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren aktiv unterwegs: Typischerweise gehen rund 70 Prozent von ihnen zu Fuss oder mit dem Velo zur Schule. Interessanterweise nutzen Kinder in städtischen Gebieten etwa 40 Prozent häufiger öffentliche Verkehrsmittel im Vergleich zu ihren Altersgenossen in ländlichen Regionen. Diese Mobilitätsgewohnheiten spiegeln die Vielfalt und Anpassungsfähigkeit des Verkehrsverhaltens junger Menschen wider.

Wann passieren die meisten Unfälle?

Die Analyse der Schulwegunfälle zeigt einen deutlichen Höhepunkt in den Morgenstunden zwischen 7 und 9 Uhr. In diesen zwei Stunden ereignet sich fast ein Drittel aller schweren Unfälle. Weitere 45 Prozent der Unfälle geschehen in den drei Stunden der Mittagszeit von 11 bis 14 Uhr. Die verbleibenden Unfälle verteilen sich kontinuierlich abnehmend auf die Zeitspanne von 14 bis 20 Uhr.

Was kann das Verhalten von Autofahrenden wirklich ändern?

Eine Studie von Jameel und Evdorides (2021) verdeutlicht: Die Reduzierung der Durchschnittsgeschwindigkeit um nur 5 km/h könnte das Risiko von tödlichen Unfällen um bis zu 25 Prozent senken. Eine erhöhte Aufmerksamkeit in Schulzonen hat das Potenzial, die Unfallrate um 20 Prozent zu reduzieren. Zudem könnte eine strengere Durchsetzung von Geschwindigkeitsbegrenzungen zu 10–15 Prozent weniger Unfällen führen. In der Schweiz zeigt eine BFU-Untersuchung vom letzten Jahr, dass die Zahl schwerer Unfälle in Tempo-30-Zonen im Schnitt um 38 Prozent abnimmt. Diese Zahlen zeigen, wie wichtig bewusstes und vorsichtiges Fahren ist, um die Sicherheit von Kindern im Strassenverkehr zu gewährleisten. Es sind Erkenntnisse, die zeigen: Nur schon ein paar km/h weniger haben einen grossen Einfluss. Handlungsanweisungen sind: Vorausschauendes Fahren, besonders wenn Kinder in der Nähe sind. Das Verzichten auf Handzeichen; sie schaffen eine falsche Sicherheit.

«Die Reduzierung der Durchschnittsgeschwindigkeit um nur 5 km/h könnte das Risiko von tödlichen Unfällen um bis zu 25 Prozent senken.»

Was bringen 1,5 Meter Abstand zwischen Auto und Velo?

Ein Abstand von 1,5 Metern zwischen Autos und Velos ist entscheidend für die Sicherheit im Strassenverkehr. Studien zeigen, dass dieser Abstand das Risiko von Kollisionen und gefährlichen Situationen erheblich verringert. Untersuchungen des Road Safety Trust und der University of Westminster zeigen, dass ein Abstand von mindestens 1,5 Metern beim Überholen von Radfahrern die Unfallhäufigkeit signifikant verringert. Studien der University of Bath belegen, dass Überholmanöver mit weniger als 1,5 Metern Abstand besonders gefährlich sind. Eine Analyse des britischen Verkehrsministeriums ergab, dass 60–75 % der Unfälle mit Radfahrern durch Fehlverhalten der Autofahrer verursacht werden. Diese Erkenntnisse verdeutlichen die Bedeutung eines sicheren Überholabstands. In Deutschland führte die Einführung dieser Regelung in die Strassenverkehrsordnung zu einer messbaren Reduktion der Unfälle. Auch der europäische Transport Safety Council empfiehlt diesen Mindestabstand, um Radfahrern genügend Raum zu geben und ihre Sicherheit zu gewährleisten. In der Schweiz haben die 1,5 Meter Empfehlungscharakter, sind aber nicht gesetzlich verankert.

Welche Rolle spielt die Polizei?

Die Verkehrsinstruktion durch die Polizei, aber auch regelmässige Verkehrskontrollen spielen eine entscheidende Rolle bei der Erhöhung der Verkehrssicherheit – besonders in sensiblen Bereichen wie Schulen und Spielplätzen. Studien zeigen, dass solche Kontrollen die Unfallrate um etwa 15 Prozent senken können. Die FHWA in den USA betont, dass die Präsenz von Polizeikräften und die strikte Durchsetzung von Verkehrsregeln zu einem sichereren Verhalten der Fahrer führen. Wenn Fahrer wissen, dass sie in bestimmten Bereichen häufiger kontrolliert werden, neigen sie dazu, vorsichtiger zu fahren und sich eher an Geschwindigkeitsbegrenzungen zu halten. Laut der europäischen ETSC tragen sichtbare Polizeipräsenz und Kontrollen auch dazu bei, dass Eltern und Kinder sich sicherer fühlen.

Wie entwickeln sich die Zahlen langfristig?

In den letzten zehn Jahren sind die Unfallzahlen mit Kindern im Schweizer Strassenverkehr um etwa 20 Prozent zurückgegangen. Diese positive Entwicklung ist auf verbesserte Sicherheitsmassnahmen auf allen Ebenen zurückzuführen. Trotz dieses Fortschritts bleibt die Gewährleistung der Verkehrssicherheit für Kinder eine zentrale Herausforderung.

«In den letzten zehn Jahren sind die Unfallzahlen mit Kindern im Schweizer Strassenverkehr um etwa 20 Prozent zurückgegangen.»

Wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich?

Im globalen Vergleich weist die Schweiz eine relativ niedrige Unfallrate bei Kindern im Strassenverkehr auf. Laut Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD rangiert die Schweiz im unteren Drittel der Länder, wenn es um die Anzahl der Verkehrsunfälle pro Kopf geht. Trotzdem bleibt die Herausforderung bestehen, die Sicherheit weiter zu verbessern und sich an neue Mobilitätstrends anzupassen.

Wir Menschen sind gerne nett, insbesondere zu Kindern. Also scheint uns folgende Situation komplett normal: Auf dem Weg zur Arbeit fahren Sie am frühen Morgen in der Nähe einer Schule vorbei. Zwei Kinder warten am Fussgängerstreifen darauf, dass Sie anhalten. Da sie Vortritt haben, bremsen Sie und halten – und winken die zwei Wartenden mit einer Geste über die Strasse. Die Kinder lachen, winken zurück und rennen los.

Komplett normal, oder? Doch Raphael Hermann, Polizist und Chef Verkehrserziehung bei der Freiburger Kantonspolizei, sagt: «Wichtig ist, dass das Fahrzeug komplett stoppt». Er erklärt, wieso Experten für Verkehrserziehung von Handzeichen gegenüber Kindern abraten: «Sie vermitteln eine falsche Sicherheit. Sind wir uns denn komplett sicher, dass der Rest der Strasse gefahrenfrei überquert werden kann? Deshalb lehren wir die Kinder: Geht erst über die Strasse, wenn das Auto komplett stehen bleibt. Haben sie dieses Verhalten verinnerlicht, braucht es auch kein Handzeichen». Kinder sind Lernende in jedem Lebensbereich, ob im Kindergarten oder in Schule oder auf dem Weg dorthin.

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